Wolf Günter Leidel

Jahreszeiten

 

„Lindgelb-Grün!“ (ein Frühlingsmorgentraum)

 

Aus dem schlafenden Schilf hervor

einsam ein grüngelbes Reis entsprießt,

lugt mit der Blütenknospe Flor

frech zum Sonnenglanz, der sich mild schon ergießt.

Aufatmend alle Natur bald erwacht,

ein Elflein(?) sanft über die Wiesen fliegt,

der Kuckuck schreit frisch: „Es ist jetzt soweit!“,

in Wonnewehen alle Natur nun liegt...

 

„Heißgelb-Rot!“ (ein Sommertagtraum)

 

Die flimmerheiße Mittagsglut

ausbrütet gar seltsamen Traum:

Sie kommt, die Teichfee, zauberschön,

und gleitet durch Busch und Baum

zum Himmel, nimmt auf ihrem Flug

die wundkranke Seele mit...

O bleib’ ’ne Weil’, Fata, „Morgana“, Du!

Um Erlösung ich Armer Dich bitt’!

 

„Nebelgrau-Braun!“ (ein Herbstabendtraum)

 

Verwelkt lila Phlox, verblüht Asterblau,

Efeu kriecht bröckelnd’ Gemäuer empor.

Aus Brombeerschlehdornbrennnesselgestrüpp

singt leis’ meiner Toten Seelen Chor,

der mich auf dem Kirchhof hier sanft nun erquickt.

Die Teichfee, die Nix’ wohl ihr Nachthemd bald strickt?

Ein seltsam’ grün’ Irrlicht dort ferne am Berg

im weiten Dämmertiefviolettdunkelblau:

ist’s eine heimlich ermordete Seel’?

Still in spätherbstlichem Novemberfrieden liegt die Au’.

Doch Bangigkeit greift jetzt gar böse nach mir:

Grauweide-Graupappel schweigt trübsinnig-stumpf!

Ein leis-mystisch’ Weinen geht jetzt in der Luft...?

O Mensch: gib acht! in grün Schilf und Sumpf,

in qualvoll Tod bringend Abgrundnaß,

in ewig geheimnisvoll-unerlösbare Pein,

auf moorigen Krötenpfaden bodenlos

die Hexe des Teiches dich häkelt hinein...

 

„Schneeglitzer-Weiß!“ (ein Winternachttraum)

 

Buntes Prachtgefunkel ist

müd’letzter Sonnengruß,

denn das fahle Tagesgestirn

lang’ nun nordwärts hinunter muß!

Mitternächtig schweigt purpurschwarz,

ruhend so starr und still der See;

unter’m Eis schluchzt, gurgelnd-bang ächzend,

der Blinkwellen Spiel mit dem Teichweib so weh-

liebestoll, wie es öfters sich zeigt;

spendet sie Fluch oder Segen?

Doch bald auch die Nixe für länger nun schweigt

und träumt, dem Frühjahr entgegen...

 

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ERLINDIS

 

 

Unweit von hier liegt Hyringckßtorff:

ein Dörflein klein mit Friedhof groß;

dort taucht sie auf zur Mitternacht

ganz nackt und schön mit feuchtem Schoß,

das Haar weit duftend lilablond,

den breiten Mund so erdbeerrot;

Verführungskünste, sehr gekonnt

den Männern bringen Freud’ & Tod…:

der Mann, verfallen ihr, verläßt

sein Weib & Kind, er fährt mit ihr

zur Hölle, hin zum Freudenfest

der Liebe teuflisch schöner Zier!

Auf Ehringsdorfer Freidhofsruh’

ein Kirchlein prangt geheimnisschwer,

aus dem ihr Singen so süß ertönt

wie „Vox coelestis“ vom HIMMEL her;

wie himmlische Stimme, nur halt aus der Höll’

strömt säuselnd auf ihr holder Klang.

Dem Mann, der da ihr Singen hört:

ihm wird so seltsam angst-&-bang:

er glaubt, die Himmelsorgel fern

ruft ihn, ahnt nicht dämonisch’ Heer

in finst’rer Luft; ein flimmernd’ Stern

äugt grün aus schmelzend Glanz daher:

ein Unstern ist’s, Gestirn der Höll’,

bös’ drohend in crystall’ner Pracht

an weit-weit gähnend-abgrundtief

blauschwarzem Firnament der Nacht.

Fremd und vertraut zugleich ihn locken

der „Vox coelestis“ Zauberstimmen,

es greift des Herzens tiefsten Grund:

Erlindis möge mit ihm schwimmen

zum Glück hinab! Akkorde zittern

wie Himmelsharfen schönster Art,

wie dunk’le Flammen, seltsam flackernd,

von Liebeswellen wunderzart,

wie bittersüßes Heimweh, trunken

erinnernd sich der Mutter Schoß,

des Vaters Herz’, dahingesunken

in qualvoll’ Sehnsucht übergroß.

Im Friedhofskirchleinfenster blaß

ein seltsam’ Phosphorglanz erscheint…;

von Nachtgetier umgaukelt leis’

der Wind hoch in den Bäumen weint.

Da! Fern am Ettersberge hin

ein Irrlicht diamanten geistert.

Ringsum auf allen Gipfeln stolz

die schweigende Nacht ihr Thronen meistert

mit finst’rer Würde; Wolken zieh’n,

Phantome dunk’ler Majestät.

Äolsharftöne nah’n & flieh’n,

vom JENSEITS fein herbeigeweht.

O böse „Ulalume“-Nacht, ach:

du wabernd schöner Schwebungsklang!

Dein Zauber Herzen krampfig krallt

mit tiefst-romantischst heißem Drang,

mit Sehnsucht, gleich der Nachtigall,

die süß-verliebt durch’s Ilmtal schallt,

wo flüsternd schlanke Wipfel rauschen

im Mondlicht milchig-geisthaft-kalt,

wo Fledermaus, Kauz, Eul’, Vampyr,

Nachtschmetterling umgaukeln leis’

die Hex’ mit Augen, deren Blicke,

gleich violettbunt-exotischerweis’

Nachtfalteraugen verschleiert sind,

so traumhaft-tiefversenkt wohl schau’n

dämonisch-lüstern vom schönen Kind,

erfüll’nd die Seel’ mit heimlich’ Grau’n.

Horch! - : Dort, im spitzen Kirchtürmlein

aus ehringsdorfer Travertin

die erzen’ Glocke Mittnacht schlägt:

o Jüngling! Eil’; du musst entflieh’n!

Manch’ Spinn’web’ ist mit Blut betaut?

So drohend schweigt die Mitternacht…:

„…denn alle Lust will Ewigkeit…“

– so flüstert’s in den Sträuchern sacht?

Gleich taucht Sie auf, das bleich’ Phantom,

schon donnern unterird’sche Tore…;

ein seltsam-bläulich Glanz entsteigt

aus grün’ Ilm-Ufers Schilfesrohre.

Der Jüngling totenbleich erstarrt:

sein Körper, seine Seele zittert;

und Beider Blicke sind vernarrt

gleich ob ein Raubtier Beute wittert.

Geheimnisvoll winkt ihm der Klang,

sein Herz quillt über, sehnsuchtsschwer:

„…wer ruft mich ach so liebeszart?

Wo strömen diese Klänge her,

dies’ zärtlich werbende Getön’

von lockend-schmeichelnd Engelsang?

Ist’s GOTTes Stimm’, ist’s Satansruf?...“;

er eilt zu IHR in sel’gem Drang,

er geht mit ihr zur Ilm hinab

in naß’ Verderben ewiglich,

kehrt niemals wieder aus dem Grab

der Wellen, hat verliebt er sich

in diese Hexe, dieses Weib,

in dieser Dame Unterleib:

Erlindis’ heißer Schoß ihn quält

und seine Stunden sind gezählt.

Wer dies’ Gespenstes Sang belauscht,

versinkt, in süßem Traum berauscht…;

Ilmnixe! Schöne Satansbraut!

Verflucht bist du und der dich schaut!

Verflucht ist, wer dein Weinen hört

in hellblau Mondlicht schwarzer Nacht

und stirbt, von mystisch’ Klang betört

in bösem Feenreichs Zauberpracht,

geküßt von sündig’ Lippen heiß,

umarmt von Beinen, liebestoll:

in Reue entströmt ihm Todesschweiß,

sein Herz ist von übel Beklemmung voll.

Lukardis weiß, wovon ich red’…!

Zu ihr fleh’ jeder arme Mann,

den Frau Erlindis „reich beschenkt“,

’daß Fürbitt’ ihn erretten kann!

 

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„...Spätabendklänge...“ („Harmonies du Soir“)

 

Wolf-G. Leidel

 

Der Abend vergeht,

ein Hauch leise weht,

auf zieht nun die blauweite Nacht;

der Wald will zur Ruh’,

blickt schwarz auf uns zu:

die Wipfel: sie flüstern ganz sacht...;

der Welt Trug und List

vergessen jetzt ist:

im Herzen kein Schmerz mehr erklingt.

Der Mond steigt empor.

Ein Lichtengelchor

von fern durch den Frieden uns singt...;

die Seele erwacht

in purpur’ner Nacht,

sie ruht still vom Tagwerk sich aus;

einst kehrt sie zurück

zu ewigem Glück

 

zum VATER: ER ruft sie nach Haus...